Wir Menschen neigen ja dazu, uns den Weg des geringsten Widerstandes zu suchen. Nicht immer ist das gut. Im Umgang mit Kontaktlinsen kann es sinnvoll und gesundheitserhaltend sein, die “extra Meile” zu gehen und sich an ein paar feste Regeln zu halten, auch wenn diese etwas mehr unserer Zeit und Aufmerksamkeit erfordern, als uns lieb ist. Im Folgenden findet ihr fünf der beliebtesten “Abkürzungen” beim Kontaktlinsentragen – und warum sie euch nicht unbedingt ans Ziel führen.

1. Gute Kontaktlinsen erkennt man an der Marke und am Preis.

Dieser Glaubenssatz geht davon aus, dass es «allgemein gute» bzw. «allgemein schlechtere» Kontaktlinsen gibt. Von einigen «schwarzen Schafen», vor allem im Bereich der Funlinsen, abgesehen, ist das aber nicht der Fall. Ob Kontaktlinsen «gut» sind oder nicht, lässt sich immer nur im Zusammenspiel mit dem Auge ermessen. Und dieses Zusammenspiel kann von Mensch zu Mensch ganz unterschiedlich sein. Eine Kontaktlinse, die sich hervorragend auf dem Auge von Person A bewegt, die die richtige Grösse hat und deren Passform optimal für die Krümmung der Augenhornhaut ist, kann bei Person B zu gross oder zu klein sein, zu fest oder zu locker sitzen oder ihr Material kann Auge B nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgen, weil es eine andere Konstitution als Auge A hat. Ist das nun eine «gute Linse» oder eine «schlechte»? Diese Frage würden Person A und Person B vermutlich sehr unterschiedlich beantworten. Allerdings nur, wenn sie überhaupt wissen, ob die Linse gut für sie ist. Das können sie selbst nämlich nicht beurteilen, was uns zu Glaubenssatz Nummer zwei führt.

2. Eine Kontaktlinse, die ich nicht spüre, passt perfekt.

Natürlich sollte es immer das Ziel sein, dass Träger*innen ihre Kontaktlinsen nicht spüren. Darin liegt schliesslich der grosse Reiz der kleinen Sehhelfer (neben der Tatsache, dass man sie nicht sieht, wohl aber sehr gut durch sie sieht). Trotzdem sagt ein angenehmes Tragegefühl allein nichts darüber aus, ob das Auge die Linse gut verträgt. Auch eine falsch sitzende Linse kann sich, gerade wenn sie zu fest sitzt, zunächst sehr angenehm anfühlen.

Photo by laura adai on Unsplash

 

Und doch verhindert sie durch den zu festen Sitz, dass ausreichend Sauerstoff am Auge ankommt. Das wiederum kann unschöne Folgen für das Auge haben – von leichten Reizungen über sehr unangenehme Entzündungen der Hornhaut bis hin zur Unverträglichkeit von Kontaktlinsen. Daher gilt auch hier: Sich auf das eigene Gefühl zu verlassen, ist im Umgang mit Kontaktlinsen nicht ratsam. Wer dauerhaft Freude an seinen Linsen haben möchte, geht den Weg über den Optiker oder die Optikerin, der wirklich keine grosse Sache ist, euch aber im Zweifel jede Menge Kummer erspart.

3. Indem man Kontaktlinsen nicht ständig trägt, trainiert man das Auge.

Ein Irrglaube, der sich so hartnäckig hält wie kaum ein anderer, ist der, dass das Auge durch Brille- oder Linsentragen «faul» wird und das Sehen sich dadurch immer weiter verschlechtert. Das stimmt schlicht und einfach nicht. Wenn ihr eure Kontaktlinsen täglich tragt, hat das keine Auswirkungen darauf, wie sich eure Sehstärke entwickeln wird. Fehlsichtigkeiten sind anatomisch bedingt und wie sich euer Körper mit der Zeit entwickelt ist von allen möglichen Dingen abhängig – vor allem von Hormonen – nicht aber davon, ob und wie oft ihr Brille oder Kontaktlinsen nutzt. Im Alltag schlecht zu sehen ruft zudem jede Menge unschöner Nebenwirkungen auf den Plan, wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, Verspannungen und trockene Augen. Auch setzt ihr euch unnötig anderen Risiken aus, z.B. wenn ihr euch im Strassenverkehr bewegt, ohne dass ihr gut sehen könnt.

4. Ich habe schon zehn Mal mit Kontaktlinsen auf den Augen geschlafen. Es ist nie etwas passiert, also kann es ja nicht so «gefährlich» sein.

Zunächst einmal ist es gut, wenn Linsennutzer*innen, die mit ihren Kontaktlinsen einschlafen, keine schlimmen Folgen haben. Jemandem zu wünschen, dass es ihn oder sie “erwischt”, nur um zu zeigen, was passieren kann, wäre ziemlich daneben. Aber Fakt ist, dass das Infektionsrisiko um ein Vielfaches erhöht ist, wenn Kontaktlinsen beim Schlafen getragen werden. Es kommt meistens nicht ausreichend Sauerstoff am Auge an und Bakterien haben aufgrund des verminderten Tränenflusses beim Schlafen beste Voraussetzungen, um sich auf den Linsen (und damit auf den Augen) zu vermehren. 

Foto von Julia Larson von Pexels

Das alles muss nicht immer schlimm enden, oft tut es das auch nicht, aber wenn es zu einer Entzündung kommt (was im Einzelfall betrachtet sehr wahrscheinlich ist), wird es unangenehm. Und da die Augen zwei sehr empfindliche Organe mit vergleichsweise geringer Selbstheilungs- und Regenerationskraft sind, ist es einfach nicht besonders clever, es immer wieder darauf ankommen zu lassen. Es kann hundert Mal gut gehen, aber wenn es beim 101. Mal schief geht, sind die Folgen mitunter nicht so lässig wegzustecken.

5. Wenn es Kontaktlinsen überall zu kaufen gibt – etwa in Drogerien – kann die viel beschworene Anpassung ja nicht so wichtig sein.

Sagen wir mal so: Die Verfügbarkeit von Dingen auf dem freien Markt korreliert nicht unbedingt mit einem positiven Effekt dieser Dinge auf die eigene Gesundheit. Wobei die Kontaktlinsen aus der Drogerie gar nicht unbedingt schlecht sein müssen. Das «Problem» mit diesen Kontaktlinsen ist, dass sie meistens nicht angepasst werden, was grundsätzlich möglich wäre, wenn Nutzer*innen nach dem Kauf dieser Linsen zu einem Optiker oder einer Optikerin gehen und dort das Zusammenspiel von Augen und Linsen überprüfen lassen würden. 

Foto von Pavel Danilyuk von Pexels

Das machen aber wohl die Wenigsten und tragen diese Linsen «auf gut Glück» und frei nach dem Motto «Wenn sie sich gut anfühlen, sind sie auch gut für mich». Hier schliesst sich der Bogen zu Punkt 2 dieser Liste. 

Wer mit dem Gedanken spielt, sich Linsen aus der Drogerie zu holen, sollte bedenken, dass diese standardisiert sind. Das heisst, es gibt sie zwar mit verschiedenen Dioptrien, aber meist nur aus einem bestimmten Material und in nur einer Grösse und Passform. Jedes Auge ist aber unterschiedlich, und das nicht nur im Hinblick auf die benötigte Dioptrienzahl. Für manche Augen können diese Linsen also ok sein, für andere überhaupt nicht. Und für wieder andere taugen sie vielleicht als «Retter in der Not», sollten aber nicht dauerhaft getragen werden. 

Wer jetzt denkt: “Boah, wie anstrengend, so viele Regeln!”, der sei abschliessend ermutigt: Kontaktlinsen tragen ist keine Raketenwissenschaft. Millionen von Menschen tragen sie und in jeder grösseren Stadt gibt es Optiker*innen, die euch mit Rat und Tat rund um Kontaktlinsen zur Seite stehen. Eine Anpassung kostet euch nur wenige Stunden eures Lebens, ebenso Nachkauf und Nachkontrollen. Wenn man diesem geringen Aufwand den Nutzen gegenüberstellt, den gut angepasste Kontaktlinsen euch bringen, indem sie euch scharfes und unbeschwertes Sehen in nahezu allen Lebenslagen ermöglichen, lohnt es sich doch allemal, den Weg des kleinsten Widerstandes zu verlassen und dafür die schönste Strecke zu nehmen. 

Titelbild Foto von Brett Sayles von Pexels