Es gibt Dinge im Leben, die fällt es schwer, einfach so hinzunehmen. Und ich rede nicht von den grossen Themen, von Politik und dem, was alles schiefläuft. Ich rede von den kleinen täglichen Herausforderungen. Sowas wie: Wir können zum Mond fliegen, aber es gibt keine Toilette, die sich selbst putzt.

Vielen scheint es mit Kontaktlinsen ähnlich zu gehen. Was Kontaktlinsenträger*innen umtreibt, wie kaum ein anderes Thema, ist das allabendliche Absetzen. Wir können Menschen in lustigen Anzügen auf ferne Himmelskörper katapultieren, aber keine Kontaktlinsen erfinden, die nachts auf den Augen bleiben, ohne Schaden anzurichten – ernsthaft? Und überhaupt: Müssen herkömmliche Kontaktlinsen wirklich immer runter vom Auge, wenn es ins Bett geht? Gibt es nicht doch Kontaktlinsen, die man unbedenklich über Nacht tragen kann? Können wir nicht alle einfach Day & Night-Linsen tragen und uns das leidige Händegewasche, Abgerubble und Aufbewahren sparen?

Kontaktlinsen über Nacht: Da geht schon was

Auch wenn wir in der Kontaktlinsenentwicklung vielleicht noch nicht auf Augenhöhe mit der Mondlandung sind, gibt es bereits für alle möglichen Lebenslagen die passenden Linsen – die horizontale Lage mit eingeschlossen. Ähnlich wie der Flug ins All sollte der Umgang mit Fremdkörpern, die nachts auf den Augen liegen, aber besonders gut geplant und sauber ausgeführt sein. Doch welche Kontaktlinsen eignen sich überhaupt fürs Tragen über Nacht und was genau müssen ihre Träger*innen beachten? 

Die Nacht durchmachen: Halten Kontaktlinsen das durch?

Nicht immer verbringt jede*r Kontaktlinsenträger*in die Nacht schlafend. Durch Spätschichten und Partys verschieben viele Menschen die Ruhepause um eine Nachtlänge und mehr nach hinten. Doch wie lange bleiben Kontaktlinsen eigentlich fit? Eine grobe Orientierung liefert der Zustand ihres Trägers oder ihrer Trägerin. Wer sich auch zu später Stunde körperlich gut fühlt, hat tendenziell weniger Einbussen beim Tragekomfort. Bei wem die Augenlider schon gegen die Schwerkraft kämpfen, machen sich die Linsen wahrscheinlich zunehmend bemerkbar. Aber auch andere Faktoren spielen eine Rolle. Stickige oder verrauchte Luft entzieht sowohl den Augen als auch den Linsen Feuchtigkeit und kann die empfindlichen Sehorgane ermüden, selbst wenn der Rest des Körpers noch topfit ist. In dem Fall können Nachbenetzungstropfen helfen, um alle Köperregionen wieder zu synchronisieren. Unabhängig davon hat jede*r Linsenträger*in bei der Anpassung eine Empfehlung für die maximale tägliche Tragezeit seiner oder ihrer Kontaktlinsen bekommen. An die sollten sie sich auch in den meisten Nächten des Jahres halten, damit die Augen gesund bleiben und tagsüber vernünftig ihren Job machen können.

Die weiche Über-Nacht-Variante: Day & Night-Linsen

Es gibt aber auch schlaftaugliche Linsen. So genannte „Day & Night“-Linsen sind weiche Kontaktlinsen, die bis zu 30 Tage und Nächte am Stück auf den Augen verbleiben können. Möglich macht das ihr hochsauerstoffdurchlässiges Material in Kombination mit einer sehr guten Beweglichkeit auf dem Auge und damit ausreichender Unterspülung der Linsen am Tage. Die letzten beiden Faktoren sind nicht zu unterschätzen und stark vom individuellen Augenprofil abhängig. Denn Material allein ist nicht alles. Nur wenn weitere Eigenschaften des Auges hinzukommen, wie ein ausreichender Tränenfluss, und Linsen und Augen hervorragend zusammenspielen, ist das durchgängige Tragen von Kontaktlinsen eine Überlegung wert. 

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Wissenswertes zu Day & Night-Kontaktlinsen im Überblick: 

  • Day & Night-Linsen müssen fachgerecht an die Augen angepasst werden. Nur so ist sichergestellt, dass Augen und Linsen gut harmonieren und «zusammenarbeiten».
  • Nicht alles, was theoretisch machbar ist, ist auch empfehlenswert. Jede Linsenpause bzw. linsenfreie Nacht entlastet die Augen und senkt das Infektionsrisiko.
  • Die Nachkontrolle beim Anpasser oder bei der Anpasserin sollte in regelmässigen Abständen und engmaschiger erfolgen als bei Kontaktlinsen, die täglich abgesetzt, gereinigt und über Nacht desinfiziert werden.

Auf die «harte Tour»: Ortho-K-Linsen über Nacht

Mit so genannten Ortho-K-Linsen seid ihr, was den Wow-Effekt angeht, schon ziemlich nah dran am Weltraumabenteuer. Denn diese formstabilen («harten») Kontaktlinsen gleichen eine Sehschwäche nicht nur aus, sondern korrigieren sie quasi über Nacht. Ortho-K-Linsen drehen das bewährte Trageprinzip also um: abends vor dem Schlafen gehen kommen sie auf die Augen, morgens beim Aufwachen werden sie abgesetzt und aufbewahrt. Während des Schlafens üben Ortho-K-Linsen leichten Druck auf die Hornhaut des Auges aus und bringen sie dadurch in die richtige Form, die nämlich, die ihr braucht, um scharf zu sehen. Der Effekt hält dann genau einen Tag an. Abends, wenn die Hornhaut langsam in ihre ursprüngliche Form zurückgehen will (die eure Sehschwäche verursacht), kommen die Kontaktlinsen wieder zum Einsatz.

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Wissenswertes zu Ortho-K-Linsen im Überblick: 

  • Bis die Hornhaut in die richtige Form modelliert ist und damit tagsüber der vollständige Korrektionseffekt eintritt, können bis zu zwei Wochen vergehen, in denen ihr die Linsen jede Nacht tragt. Dann sollte die Sehkraft tagsüber stabil und keine weitere Sehhilfe mehr nötig sein. Durch das kontinuierliche nächtliche Tragen der Ortho-K-Linsen wird dieser Zustand aufrecht erhalten.
  • Werden die Linsen nicht mehr getragen, geht die Hornhaut Stück für Stück wieder in ihre alte Form zurück – die Sehschwäche ist wieder da.
  • Ortho-K-Linsen können eine Kurzsichtigkeit bis -5 Dioptrien und eine geringe Weitsichtigkeit ausgleichen. Kommt eine Hornhautkrümmung dazu, muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Fehlsichtigkeit mit einer Ortho-K -Linse korrigiert werden kann.

Nachtlinsen erlauben keine Selbstversuche

Bei Day & Night-Linsen und Ortho-K-Linsen handelt es sich um zwei ganz unterschiedliche Linsenarten, die jedoch eine grosse Gemeinsamkeit haben: ohne gründliche Anpassung und Nachkontrolle beim Fachmann oder bei der Fachfrau geht es nicht – schliesslich fliegt auch niemand mit einer selbstgebauten Propellermaschine zum Mond.

Und während wir dann schlummern, ob mit Nachtlinsen oder ohne, träumen wir von dem ganz grossen Ding: der Linse, die sich selbst reinigt – so wie die Toilette nebenan.