Die Entscheidung für oder gegen Kontaktlinsen fällt vor allem mit der Antwort auf die Frage, wie alltagstauglich die kleinen Sehhelfer sind. Klar, zum Ausgehen und für die zwei bis drei Sporteinheiten in der Woche taugen sie in jedem Fall, aber was ist mit den Situationen im Alltag, in denen gutes Sehen nicht nur praktisch, sondern quasi lebensnotwendig ist? Der Strassenverkehr ist so eine Situation. Nur die Wenigsten werden sich ihm entziehen können. Umso wichtiger, dass sie sich hier auf ihre Sehhelfer verlassen können. Was können Kontaktlinsen im Strassenverkehr leisten (und was nicht)? Und worauf sollten Nutzer*innen achten, die sich viel mit Auto, Motorrad oder Fahrrad bewegen?

Gute Sicht aus jedem Augenwinkel

Fangen wir mit dem Offensichtlichen – oder eher: nicht Offensichtlichen – an: Kontaktlinsen sind glas- und rahmenlos und das ist ein dicker Pluspunkt im Strassenverkehr. Sie sitzen nicht in einer Position fest, sondern bewegen sich mit den Augen. So passen sie sich problemlos jeder Seh-Situation an und können die eine Millisekunde Reaktionsgeschwindigkeit rausholen, auf die es mitunter ankommt. Vorausgesetzt natürlich, sie passen in Grösse, Passform und Material zum Augenprofil ihres Trägers oder ihrer Trägerin. Um das sicherzustellen, ist eine Anpassung beim Optiker oder bei der Optikerin Pflicht.

Weniger Lichtspiele für mehr Orientierung

Gerade im Herbst, wenn die Strassen nass sind und viele im Halbdunkel durch das Lichtermeer der Stadt navigieren, möchte man sich nicht noch mit zusätzlichen Lichtspielen auf der Sehhilfe beschäftigen müssen. Diese entstehen bei der Brille zum Beispiel durch Verschmutzungen oder Kratzer auf der Glasoberfläche, oder werden durch die Glaseigenschaften verursacht. Da Kontaktlinsen aus flexiblen Kunststoffen gefertigt sind und direkt auf den Augen sitzen, haben sie mit Lichtbrechung nichts am Hut, ausser der, die ihr zum Sehen braucht. Reflektionen und Spiegelungen entstehen auf ihnen nicht. Damit erleichtern sie die Orientierung und Sicherheit im abendlichen Strassenverkehr.

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Kontaktlinsen beim Autofahren: Zwischen Tacho und Reh

Gerade hinterm Steuer eines Autos kommt es nicht nur auf gute Sicht in alle Richtungen an, sondern auch auf scharfes Sehen in unterschiedliche Entfernungen: Tacho im Nahbereich, Navi in mittlerer Entfernung – und steht da nicht in 50 Metern ein Reh am Strassenrand? Das alles ist meist kein Problem, solange man unter 40 ist. Danach treten bei vielen erste Anzeichen von Alterssichtigkeit auf. So schlimm wie es klingt, ist es aber gar nicht. Die Linse des Auges verliert lediglich ein wenig an Power und kann nicht mehr so schnell von Nah- auf Fernsicht umstellen – und umgekehrt. Wer Brille trägt, googelt jetzt das erste Mal nach „Gleitsichtbrille“. Was viele nicht wissen: Auch Kontaktlinsen gibt es mit unterschiedlichen Sehbereichen.

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Linsenträger können sich vor dem Besuch beim Optiker oder der Optikerin zu «Multifokallinsen» informieren. Die unterschiedlichen Sehzonen für Nähe, Weite und mittlere Distanz sind hier kreisförmig in der Linse angeordnet – den Rest erledigt das Gehirn. Multifokallinsen sind meist weiche Kontaktlinsen, es gibt sie aber auch als formstabile Linsen. Beide erfordern eine genaue Anpassung anhand des individuelle Augenprofils.

Kontaktlinsen mit Helm und Mundschutz

Wenn ihr lieber auf zwei Rädern unterwegs seid, könnt ihr Kontaktlinsen problemlos unter Helm und Visier, Sonnen- oder Sportbrille tragen. Gerade beim Fahrradfahren im Herbst schätzen Linsennutzer*innen die glaslose und damit beschlag- und tropfenfreie Sicht. Das gilt auch für Menschen, die vor allem mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind. Sie haben beim Umsteigen immer wieder mit Temperaturwechseln zu tun. Der Mund- und Nasenschutz, der in Bussen und Bahnen Pflicht ist, tut sein Übriges und lässt Brillengläser ständig anlaufen. Mit Kontaktlinsen dagegen fällt das lästige Auf- und Absetzen der beschlagenen Sehhilfe weg.

 

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Was tun, wenn Kontaktlinsen unterwegs verloren gehen?

Doch was passiert eigentlich, wenn die Linsen unterwegs doch mal schlapp machen oder verloren gehen? Wenn die Augen trocken werden, man im Stau steht und die tägliche Tragezeit längst überschritten ist? Oder sich die Linse beim Motorradfahren plötzlich aus dem Auge verabschiedet? Letzteres Szenario ist zwar eher unwahrscheinlich, gerade bei formstabilen Linsen aber nicht ausgeschlossen, wenn sie ruckartigen Bewegungen ausgesetzt sind. Weichlinsen dagegen neigen schneller zum Austrocknen, etwa, wenn der Lidschlag («Blinzeln») beim konzentrierten Fahren nicht so regelmässig erfolgt, die warme Heizungsluft Richtung Gesicht pustet oder die Augen nach einem langen Tag schwer und müde werden. In dem Fall ist es hilfreich, ein Fläschchen mit Nachbenetzungstropfen dabei zu haben, die den Tragekomfort erheblich erhöhen und die Wahrscheinlichkeit senken, dass die Linsen einfach vom Auge fallen. Die Tropfen gibt es auch in einzelnen Ampullen, die locker in jedes Handschuhfach passen. Dort solltet ihr zudem eine Ersatzbrille aufbewahren, falls eure Linsen sich merklich auf Sehvermögen und Konzentration auswirken.

Tragt ihr nachts Ortho-K-Linsen, um tagsüber ohne Korrektion sehen zu können, solltet ihr ebenfalls auf ausserplanmässig lange Zeiten hinterm Steuer vorbereitet sein. Habt bei Fahrten über Land am besten immer ein Paar Tageslinsen dabei. Diese könnt ihr aufsetzen, wenn eure Sehkraft am Abend nachlässt. Schon ein leicht verringertes Sehvermögen kann im Strassenverkehr zu schlimmen Unfällen führen.

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Egal, mit welchem Gefährt ihr unterwegs seid, kann es immer mal vorkommen, dass ihr einen Fremdkörper ins Auge bekommt und die Linsen plötzlich absetzen müsst. Gerade wenn ihr Jahreslinsen tragt, macht es sich bezahlt, eine kleine Flasche mit Aufbewahrungslösung und einen Linsenbehälter dabei zu haben. Achtet darauf, dass ihr beides an einem lichtgeschützten und möglichst kühlen Platz aufbewahrt. Im Auto ist das zum Beispiel das Handschuhfach.

Gänzlich ungeeignet für den Strassenverkehr sind übrigens Farb- und Funlinsen, da die Farbschicht das Sichtfeld einschränken kann. Bitte bedenkt: Wenn ihr diese Linsen tragt und einen Unfall baut, haftet ihr in vollem Umfang.

Kontaktlinsen im Strassenverkehr: Eingewöhnung einplanen

An das Sehen mit Kontaktlinsen muss man sich anfangs gewöhnen. Je nachdem, ob und welche Sehhilfe ihr vorher getragen habt und welche Kontaktlinsen ihr nutzt, kann diese Eingewöhnungszeit unterschiedlich lang ausfallen. Beim Wechsel von der Brille auf Kontaktlinsen könnt ihr möglicherweise nicht sofort in alle Entfernungen scharf sehen. Das Auge muss sich erst daran gewöhnen, dass die Sehhelferin nun direkt auf dem Auge sitzt (und nicht mehr davor).

Möglicherweise fühlt sich die Linse anfangs auch wie ein Fremdkörper im Auge an. Während Weichlinsen eine hohe Spontanverträglichkeit haben, kann es bei formstabilen Linsen (“Hartlinsen”) einige Wochen dauern, bis ihr sie als angenehm empfindet. Wenn ihr unsicher seid, ob ihr eine lange Fahrt mit Kontaktlinsen durchhaltet, solltet ihr immer einen Plan B(rille) haben und die Möglichkeit, die Linsen unterwegs hygienisch und sicher abzusetzen und zu lagern. Hierfür gibt es spezielle Reisesets mit Pflegemittel und Behälter.

Gutes Sehen ist im Strassenverkehr enorm wichtig. Mit gut angepassten Kontaktlinsen erhöht ihr nicht nur die eigene Sicherheit und die anderer Verkehrsteilnehmer*innen, sondern auch den Spass beim Autofahren und Radeln.

Spätestens wenn das selbstfahrende Auto kommt und ihr bei der Fahrt ins Büro noch ein Nickerchen macht, müssen die Linsen dann aber doch draussen bleiben.